Fehlstart in Richtung Freiheit

von Sylke Rossek

Das Schuljahr 2021/22 begann also ohne uns. Es fühlte sich zunächst komisch an. Während wir sonst längst in der Schule waren, konnten wir nun gemütlich ausschlafen und auf der Terrasse ausgiebig frühstücken. Um seinen Eltern ein kinderfreies Wochenende zu bescheren, schnappten wir unseren damals zweieinhalb jährigen Enkel und fuhren mit ihm an den Barleber See. Unser erster Kurzurlaub mit ihm war ausgefüllt mit vielen fröhlichen und wundervollen Augenblicken, die sich in unser Herz brannten.

Meine Gedanken gingen jedoch oft in Richtung Schule. Es gelang mir einfach nicht loszulassen. Während Micha mit seinen Freunden Österreich mit dem Motorrad unsicher machte, traf ich mich mit Freundinnen und beschäftigte mich mit Dingen, die mir am Herzen lagen. Eine Weiterbildung in Warnemünde Anfang September eröffnete mir eine neue Welt, auch wenn sie sich erst bei einem weiteren Event im Oktober vollständig offenbarte. Wieder daheim konnte ich mir fast alles vorstellen, nur keine „Weltreise“. In diesen unsicheren Zeiten die Familie zurückzulassen und sich selbst in unbekannte Gefilde zu begeben, war unvorstellbar für mich. Auch wenn das für viele nicht nachvollziehbar ist, ich hatte keine Lust zu verreisen. Ich fühlte mich ausgebrannt. Über 2 Monate nach Ende des Schuljahres hatte ich mich immer noch nicht erholt oder war gar angekommen im Sabbatical. Die letzten 3 (Schul-)Jahre hatten mir zu viel Energie abverlangt. Aber dazu gern später …

Micha kam aus Österreich zurück, sah das Häufchen Elend und zwang es, Sachen zu packen. Er setzte mich auf den Beifahrersitz und fuhr los Richtung Süden. So weit, bis wir die Berge zwar wegen der Dunkelheit nicht sahen, aber spürten. Die Sonne weckte uns nicht nur am nächsten Morgen, sondern zusammen mit dem Bad im Chiemsee auch meine Lebensgeister. Als hätte ich beim Baden im See eine Schicht voller Druck und Sorgen abgespült und sie in der Sonne mit neuer Energie ersetzt, fuhr ich schon deutlich entspannter und erwartungsfroher neben meinem Mann in Richtung Österreich. Eine Freundin hatte öfter vom Weißensee in Kärnten geschwärmt, so dass wir dort für eine Nacht Zwischenstation auf dem Weg nach Kroatien machen wollten. Wir blieben 4 Nächte. Der höchstgelegene Badesee der Alpen mit seinem unfassbaren Blau, dass man nur von Bildern aus der Karibik kennt, faszinierte uns. Wir erkundeten ihn per Fahrrad, zu Fuß, im und auf dem Wasser. Sonnige, warme Septembertage, die mir halfen aufzutanken. Auch wenn es in Österreich fast überall schön ist, dieser Ort war es besonders.

Nicht zuletzt, weil es abends mit der Verabschiedung der Sonne hinter den Bergen bereits um 18 Uhr sehr frisch wurde, fuhren wir schließlich weiter in Richtung Süden. Über Italien und Slowenien erreichten wir, ausschließlich die Landstraße nutzend, unseren Campingplatz nördlich von Rovinj auf der Halbinsel Istrien. Endlich waren wir in Kroatien! … oder was die meisten, uns eingeschlossen, für Kroatien halten. Auch wir kannten bisher nur die Gegend um Rovinj, was uns ja schließlich auch bewog, zuerst dorthin zu fahren. Nicht besonders mutig und entdeckerfreudig!

Tatsächlich war ursprünglich mein Plan, anfangs ein paar Tage an einem Ort zu bleiben, um noch weiter aufzutanken und anzukommen. Was liegt da näher, einen Ort zu nehmen, den man bereits kennt?

Mit dem Blick auf das Meer in den Tag hineinzuleben, nichts tun zu müssen, einfach nur da zu sein, war für die ersten Tage völlig ausreichend und erholsam. Obwohl mensch beim Nichtstun nie weiß, wann er bzw. sie damit fertig ist, meldete sich immer häufiger eine kleine Stimme in mir, die auch etwas erleben wollte. Eine Nachricht eines Freundes gab schließlich die Richtung vor: „Je südlicher ihr kommt, umso schöner wird Kroatien!“

Wir packten unsere Siebensachen und begaben uns neugierig auf die Reise …

Wir haben es getan

von Sylke Rossek


... und es war einfach nur das Beste, was wir tun konnten.

Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei. Dazu kommen noch unverschämt viele Ferien. Trotzdem hängen sie fest - in einer Struktur, in einem zeitlichen Konstrukt, im Hamsterrad. Was aber machen nun Herr Lehrer, wenn er in seinem zeitlich begrenzten Erdendasein einmal in Nepal und nicht gerade zur Regenzeit wandern oder Frau Lehrerin, wenn sie endlich Bruder und Familie entspannt in Neuseeland besuchen wollen?
Sie steigen aus. Für ein halbes Jahr. „Wie ist das möglich, dass so etwas bewilligt wird? Ich denke, wir haben Lehrermangel!?“ fragen überraschte Bekannte aus der freien Wirtschaft. Die Frage stellt sich für uns nicht. Es war möglich. Für uns. Und wer weiß, für wen es noch alles möglich wäre. Aber das kann jeder nur erfahren, wenn er fragt und bereit ist, sich auf die Spielregeln einzulassen.

Heute ist nun der letzte Tag dieser Auszeit. 32 freie Wochen liegen hinter uns. Was für eine unfassbare schöne und wertvolle Zeit, auch ohne Weltreise. „Was ihr wart gar nicht weg?“ Doch, schon. Wir haben lediglich unsere Pläne den Bedingungen angepasst. Alles war nicht möglich, aber doch vieles. Ursprünglich war der Atlantik unser Ziel. Unser Bauchgefühl ließ uns aber in Richtung Südosteuropa fahren ...
Das lang ersehnte Wiedersehen mit meinem Bruder und seiner Familie musste verschoben werden. Michael jedoch konnte sich seinen langjährigen Traum vom Himalaya erfüllen und verbrachte 6 Wochen in Nepal. Höhepunkt seiner Reise war die Wanderung auf dem Annapurna Treck mit der Überquerung des Thorangla-Passes in 5416 m Höhe.

Aber der Reihe nach. Der letzte Schultag des Schuljahres 2020/21 verlief sehr tränenreich. Kurz vor der Verabschiedung von meiner geliebten 3b erfuhr ich, dass eine langjährige Walking-Freundin den Kampf gegen den Krebs verloren hatte.
Die Verabschiedung von meinen Fröschen zeigte nicht nur mir sehr deutlich, wie stark die Klasse und ich durch diese 3 turbulenten Jahre zusammengewachsen waren. Jetzt, wo wir so gut harmonierten, die Klasse zurückzulassen, war etwas, was ich lange nicht verwinden konnte. Bis in das neue Schuljahr hinein beschäftigte mich die Entscheidung, obgleich sie ja bereits 2 Jahre zuvor getroffen worden war.

Während wir sonst die Sommerferien gut mit Verreisen ausfüllten, hatten wir es diesmal nicht besonders eilig. Um aber auch nicht in Lethargie zu verfallen, sattelten wir schließlich die Räder und begaben uns strampelnd in Richtung Nordwesten. Eigentlich erstmal nur, um unsere jüngste Tochter beim Studium in Lüneburg zu besuchen. Am Ende waren wir 16 Tage unterwegs und saßen über 1000 Kilometer im Sattel. Wir sahen die Havel in die Elbe münden und die Elbe in die Nordsee; radelten durch Hamburg, das Alte Land, Cuxhaven, Bremerhaven, Bremen, Celle und Wolfsburg. Was man halt so macht, wenn man radelnd reisen liebt und Zeit keine Rolle spielt.

Mit unserer Heimkehr nach Hause begannen inzwischen die Vorbereitungen für das neue Schuljahr. Nicht jedoch für uns. Für uns begann endlich das Sabbatical …

 

 

 

ICH - 48!?

von Sylke Rossek

ICH - 48!?


Überraschenderweise bin ich am Sonntag wieder ein Jahr älter geworden. Anstatt der geliebten 7 steht da jetzt eine 8 hinter der 4. Also 48. Diese Zahl steht entsprechend der Zahlendeutung nach Dan Millman (Die Lebenszahl als Lebensweg) für „aus der alten Struktur heraus entsteht eine neue Qualität“. Na endlich! Mehr als 2 Jahre habe ich darauf hingearbeitet.

Nach meiner konsequenten und vielleicht (wage)mutigen Entscheidung vor genau zwei Jahren, die Schule zu verlassen, war ich in ein tiefes Loch gestürzt mit Panikattacken und schweren depressiven Phasen. Was folgte, war harte Arbeit in vielen Bereichen oder besser gesagt auf vielen Ebenen meines Seins. Stück für Stück habe ich aus dem Keller ans Licht befördert, angeschaut, verändert, losgelassen. Symptomatisch für das Auf und Ab in dieser Zeit und gleichzeitig auch Höhepunkt war die tolle Zeit in Neuseeland mit dem anschließenden Absturz bei der "Landung" daheim. Ich durfte mich neu zusammensetzen und bin heute unglaublich froh, diese Zeit lebend überstanden zu haben. Bezüglich meiner Familie und meiner kürzlich verstorbenen Freundin fällt es mir schwer, das zuzugeben - aber alles andere entspräche nicht der Wahrheit. Alle, die selbst an Depressionen leiden oder litten, wissen wovon ich spreche. Ich bin dankbar dafür, das erfahren zu haben. Es ist für meine Arbeit von unschätzbarem Wert.

"Wenn du eine Hand suchst, die dich aus dem Sumpf zieht,...

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